JMDs rocken die Hauptstadt
JMDs rocken die Hauptstadt
Drei Gruppen der Jugendmigrationsdienste treten beim Tag der offenen Tür im Bundesjugendministerium auf
Tanzen ist nicht einfach ein Sport. Jeder der tanzt, weiß das. Besonders gut wissen es die Jugendlichen die beim diesjährigen Tag der offenen Tür im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Berlin auf der Bühne standen.
Auch wenn die drei Gruppen der Jugendmigrationsdienste aus Düsseldorf, Wolfsburg und Lübben unterschiedlicher kaum sein könnten, so verbindet die Tänzerinnen und Tänzer doch eines: Alle drei Gruppen haben in Berlin eine großartige Performance auf die Bühne gebracht. Für die Jugendlichen, die an den zwei Tagen im Ministerium große Kunst zeigten, ist Tanzen mehr als eine Freizeitbeschäftigung. Einige sind erst durch das Tanzen ganz in Deutschland angekommen.
MIAPATA vom JMD Düsseldorf: Wir halten zusammen
Der Begriff „Miapata“ stammt aus Togo und bedeutet „Wir halten zusammen“. Genau den Eindruck macht die Tanztheatergruppe Miapata aus Düsseldorf auf der Bühne. Sie halten zusammen, sie geben sich gegenseitig Rückhalt und sie haben vor allem eine ganze Menge Spaß auf der Bühne. Vermutlich ist das eine besondere Herausforderung, wenn 20 Jugendliche zwischen 14 und 26 Jahren mit unterschiedlichsten Voraussetzungen zusammen tanzen. Sie kommen aus 11 verschiedenen Herkunftsländern, sind neu zugewandert, geflüchtet, hier geboren und aufgewachsen. Diese Vielfalt zeigt sich auch auf der Bühne. Der Auftritt ist durch und durch gelungen. Jeder Tänzer und jede Tänzerin hat eigene Talente, manche bringen Soli auf die Bühne, andere bleiben lieber in der Gruppe. Alle sind schwarz-weiß gekleidet, aber jeder hat sich sein Outfit selbst zusammengestellt. Jeder bleibt er selbst und doch stehen sie als Gruppe zusammen.
So unterschiedlich wie die Jugendlichen, so verschieden sind die Stile, die sich hier zu einem organischen Ganzen zusammenfügen. HipHop ist dabei, Crumping, Breakdance, Capoeira, Modern Dance und afrikanische Stile, außerdem wird gerappt und gesungen. Scheinbar leicht und spontan bewegen sich die Jugendlichen über die Bühne. Selbst die ernsten pantomimischen Szenen zu Themen wie Rassismus und Ausgrenzung gehen den Jugendlichen von der Hand wie Profischauspielern.
Politisch im Ministerium
Kein Wunder, dass ausgerechnet Miapata ausgesucht wurde, um einen Extraauftritt vor der Hausherrin Familienministerin Manuela Schwesig zu geben. Die Politprominenz und auch das Gespräch mit der Bundesministerin auf der Bühne nahmen die Jugendlichen allerdings professionell gelassen. Natürlich freuten sie sich über den Auftritt in der Hauptstadt. Im Vordergrund steht bei ihnen aber der Zusammenhalt, wie auch der künstlerische Leiter der Gruppe Elysée bekräftigt. Der 24-Jährige kam selbst als Jugendlicher zum Jugendmigrationsdienst der Diakonie Düsseldorf und tanzte schon mit, als das Tanzprojekt vor vier Jahren gegründet wurde. Inzwischen haben etwa 200 Jugendliche das Tanzen beim JMD für sich entdeckt. Für viele war die Zeit mit Training, Proben und Auftritten vor allem ein Hobby, das ihnen geholfen hat, in Deutschland anzukommen. Andere haben das Tanzen später sogar zum Beruf gemacht.
Für die 20 Jugendlichen, die nach Berlin kamen, steht fest: Tanzen bedeutet ihnen viel. „Tanz ist Kunst, damit kann ich etwas ausdrücken. Das finde ich faszinierend“, erzählt Ramadan aus Mazedonien. Er lebt sich vor allem beim Improvisieren auf der Bühne aus. Auch für Theodora aus Rumänien bedeutet es mehr als ein Hobby. „Als ich in die Gruppe kam, war ich schüchtern und wusste nicht was ich kann. Die anderen haben mich geschnappt, mich nach vorne gestellt und gesagt, mach einfach.“ Die 23-Jährige, die heute locker ein Solo auf die Bühne legt, hat aber in der Gruppe nicht nur das Tanzen gelernt. „Für mich ist das längst meine Familie. Ich bin alleine nach Deutschland gekommen. Mit der Gruppe habe ich mein Deutsch verbessert und neues Selbstbewusstsein gefunden.“ Auch die 16-jährige Ülkü aus der Türkei betont den besonderen Zusammenhalt der Gruppe, die jeden Neuen auffängt und unterschiedlichen Talenten zum Auftritt verhilft. „Jeder von uns hat andere Talente. Wir würden uns aber nie gegenseitig als Konkurrenz betrachten, immer als Partner. Jeder interpretiert ein Stück auf seine Weise und weiß dabei die Gruppe hinter sich. Das macht uns stark.“
TanzWelt: ein Projekt, so bunt wie seine Tänzerinnen
Weniger improvisiert und etwas klassischer geht es in Wolfsburg zu. TanzWelt, ein Projekt des Jugendmigrationsdienstes des Diakonischen Werks Wolfsburg e.V. tritt mit Choreografien aus aller Welt auf. In Berlin gaben die 29 Tänzerinnen ein abwechslungsreiches Programm zum Besten. Sie zeigten sowohl Folkloristiches aus Russland, Moldawien und Kasachstan, als auch Showtänze wie einen Hexentanz und eine phantasievolle Szenerie um einen kleinen blauen Kanarienvogel. Die Kinder und Jugendlichen der TanzWelt haben bereits reichlich Auftrittsroutine. Sie sind in Wolfsburg und auch im weiteren Umfeld gerne gesehen. Auch mit Auftritten vor einer Jury haben die Tänzerinnen nicht das geringste Problem. Bei „Jugend tanzt“ belegten sie völlig zu Recht den ersten Platz. Kein Wunder also, dass der Auftritt in der Hauptstadt nicht mehr als das übliche Lampenfieber aufkommen lässt.
Vielleicht gründet sich die Selbstverständlichkeit, mit der die Jugendlichen auf die Bühne treten aber auch darauf, dass die Tänze und Kostüme den Tänzerinnen nicht vorgesetzt werden, sondern das Ergebnis gemeinsamer Entscheidungen sind. „Normalerweise spielt uns unsere Tanzlehrerin eine neue Musik vor und dann entscheiden wir gemeinsam, ob wir dazu tanzen möchten und wie“, erzählt Xenia. Sie kam aus Russland nach Deutschland und wurde beim Jugendmigrationsdienst auf das Tanzprojekt angesprochen. Inzwischen ist die 17-Jährige seit vier Jahren bei TanzWelt und schätzt dort vor allem die vielen Möglichkeiten, die den Jugendlichen offenstehen. „Wir tanzen unterschiedliche Stile und machen einfach alles, worauf wir Lust haben. Das ist viel schöner, als in einem Verein, wo nur ein Stil getanzt wird.“ Außerdem, so erzählen die Tänzerinnen, schweißen gemeinsame Auftritte zusammen und machen die Gruppe und den Einzelnen selbstbewusster.
Gute Erfahrungen weitergeben
So geht es auch Elisabeth. Die 18-Jährige, die aus Kasachstan nach Deutschland kam, hat ihre halbe Jugend im JMD Wolfsburg verbracht. Seit sechs Jahren tanzt sie bei TanzWelt, inzwischen unterrichtet sie selbst die Gruppe der ganz kleinen Kinder. „Es ist schön zu sehen, wie die Kleinen sich entwickeln und es ist schön, etwas von dem weiterzugeben, was wir bei unserer Lehrerin in der Zeit gelernt haben.“
Der Jugendmigrationsdienst ist für Elisabeth aber mehr als der Ort, an dem sie tanzt und unterrichtet. „Er war für mich eine Anlaufstelle in ganz vielen Situationen. Wir wurden dort immer unkompliziert empfangen und beraten, egal um was es ging: Schule, Bewerbungen, Formulare oder einfach mal zum Abschalten. Wir kommen auch heute noch im JMD vorbei, um einfach einen Tee zu trinken. Und wenn wir eine Idee haben und sagen, wir hätten Lust das zu machen, dann wird das sofort umgesetzt. Das ist wie beim Tanzen. Wir bekommen nicht irgendetwas vorgesetzt, sondern gestalten mit.“ So sieht es auch Xenia: „Wir werden hier mit allem unterstützt. Das ist schön. Und es macht uns stärker, wie das Tanzen. Vor einem Publikum oder einer Jury aufzutreten, kostet jedes Mal Überwindung. Aber es fühlt sich gut an.“ Es sieht auch gut aus, wie ein begeistertes Publikum den Jugendlichen mit wildem Applaus bestätigt.
Afro Alliance: Mit dem JMD in die Selbständigkeit
Ganz anders als bei den beiden anderen Tanzgruppen, war die ursprüngliche Situation bei Souleymane Sekou und Minkaïlon aus Guinea, die mit der dritten Gruppe im Ministerium auftraten. Afro Alliance, wie die Showgruppe sich nennt, ist mit ihren Auftritten gerade auf dem Weg in die Selbständigkeit. Als Souleymane und Minkaïlon vor zwei Jahren nach Deutschland kamen, nutzten sie ihr Showtalent in erster Linie um ihr Studium zu finanzieren. Nach ihrer Ankunft in Deutschland wurden sie vom Jugendmigrationsdienst des Diakonischen Werks des Kirchenkreises Lübben e.V. in Zusammenarbeit mit der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE) beraten.
Kopfüber in die Selbstständigkeit: Afro Alliance vom JMD Lübben
Zunächst ging es in den Gesprächen um Integrationsfragen, dann immer mehr auch um die Selbstständigkeit. Nachdem die beiden jungen Männer bei verschiedenen Gelegenheiten aufgetreten waren, unter anderem bei der Eröffnung der Wanderausstellung „anders?- cool!“, stand für sie selbst und auch für die Mitarbeiterinnen des JMD fest: Sie gehören ganz auf die Bühne.
Afrikanische Atmosphäre in Berlin
„Bei unseren Auftritten haben wir erkannt, dass die Menschen hier ein großes Bedürfnis nach Entspannung und guter Energie haben“, erzählt Souleymane. „Die Leute brauchen das. Und wir haben die Lösung für dieses Bedürfnis in unserem Koffer.“ Und so machen die beiden sich mit der Lösung nun auf in das Leben als freie Künstler. Sie treten zu zweit, zu viert oder auch mit allen neun Mitgliedern der Gruppe auf. Mit dabei sind Trommler, Sänger, Tänzer und Akrobaten. Manchmal verbinden sie ihren Auftritt mit einem Workshop, in dem sie Afrikanischen Tanz und Trommeln unterrichten. Es ist ihr Traum sich hier selbstständig zu machen und sie freuen sich auf jeden Auftritt, um afrikanische Atmosphäre aufkommen zu lassen.
Das Büro des JMD Lübben und der MBE ist für die beiden Musiker nach wie vor eine wichtige Anlaufstelle. Dort erhalten sie weiter Unterstützung und Empfehlungen für Engagements. Auch zum Auftritt im Ministerium wurde beiden von den Mitarbeiterinnen des JMD geraten. Und Berlin ist begeistert. Das Publikum klatscht zu den Trommeln und gibt Tänzern, Sängerin und Akrobat spontanen Szenenapplaus. Das Ziel, die Menschen für einen Moment in eine andere, eine „afrikanische Stimmung“ zu versetzen, haben die Künstler in Berlin in jedem Fall erreicht.