Die ganze Welt in Kassel
Der JMD Kassel als multinationaler Treffpunkt
Kassel - eine Großstadt in der Mitte Deutschlands. Schon immer war Kassel für viele Menschen ein attraktiver Zuzugsort. So zum Beispiel für die Hugenotten im Zeitalter der Renaissance. Bis heute kommen Menschen aus verschiedensten Ländern und Kulturen nach Kassel. Da ist es nicht verwunderlich, dass es hier bereits seit Beginn der 1970er Jahre den Jugendmigrationsdienst (vormals Jugendgemeinschaftswerk) in Trägerschaft der Caritas gibt.
„Bis in die 90er Jahre kamen hauptsächlich Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler zu uns und nutzten unsere Angebote“, so Hilla Zavelberg-Simon, Mitarbeiterin im Jugendmigrationsdienst. Das hat sich spätestens seit der Umwandlung zum JMD im Jahr 2004 und dem ab 2005 gültigen Zuwanderungsgesetz geändert. Seither wird der Kasseler JMD von jungen Menschen aus allen Nationen aufgesucht. „Unsere Klientel setzt sich bunt zusammen“ ergänzt Nathalie Dettmar, ebenfalls Mitarbeiterin im JMD. „Es kommen junge Menschen aus allen Ländern der Welt zu uns, insbesondere aus Somalia, Eritrea, Äthiopien, Afghanistan, Pakistan, Syrien, dem Irak und dem Iran. Und seit dem Jahr 2007 kommen nun auch viele EU-Bürgerinnen und -Bürger aus Polen hinzu und seit ca. zwei Jahren vielfach junge ratsuchende Menschen aus Rumänien und Bulgarien“.
Von der Schule zum Beruf – und darüber hinaus
Neben den 13 bis 16-Jährigen, die der JMD zumeist in Kooperation mit zwei großen Gesamt-/Berufsschulen bei ihrer sozialen Integration begleitet, nutzen vor allem junge Erwachsene im Alter zwischen 19 und 27 Jahren die Beratungsangebote des Jugendmigrationsdienstes. Infolgedessen liegen die Beratungsschwerpunkte des Kassler JMD nicht bloß beim Übergang von der Schule in den Beruf und dem Einstieg ins Berufsleben, sondern auch bei sozial- und ausländerrechtlichen Fragestellungen. „Wir sind gerade was den Bereich der sozial- und ausländerrechtlichen Beratung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes angeht sehr gut aufgestellt und werden hier stetig durch den Caritasverband fortgebildet. Dessen ungeachtet ist eine enge Kooperation mit Behörden und anderen wichtigen Akteuren für unsere Klienten unabdingbar“, berichtet Bernd Schulz, Berater im JMD.
Individuelle Schwerpunkte
Der Jugendmigrationsdienst im Caritasverband ist mit Stadt und Landkreis Kassel für ein großes Einzugsgebiet zuständig. Auf mehr als 400.000 Einwohner kommt ein - im Vergleich zum Bundesdurchschnitt - sehr hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Einige Stadtteile haben einen Anteil von über 50 Prozent. Im städtischen Durchschnitt hat jeder zweite junge Mensch unter 18 Jahren einen Migrationshintergrund. Daher ist es hilfreich, dass die Arbeit im Jugendmigrationsdienst von fünf Kolleginnen und Kollegen - Nathalie Dettmar, Kathrin Drescher-Mattern, Hilla Zavelberg-Simon, Ralf Hardes und Bernd Schulz - mit individuellen Schwerpunkten getragen wird und so ein großes Aufgabenspektrum abgedeckt werden kann. Hinzu kommt auch noch die Kollegin Ramona Ramm, die im Rahmen der Bildungsberatung Garantiefonds-Hochschule junge Akademikerinnen und Akademiker berät.
Neben dem klassischen Case Management und der Beratung bietet der Kasseler JMD ein breites Spektrum weiterer Angebote für seine Klientinnen und Klienten. So werden regelmäßig Drittmittel über das BAMF, die Akquise von Spenden oder über Stiftungen (wie die Sparkassenstiftung oder die Aktion Mensch) eingeworben, um dann bedarfsorientierte zusätzliche Maßnahmen ins Leben rufen zu können. Hierzu gehören zum Beispiel ergänzende niedrigschwellige Sprachangebote für Menschen, die keinen Zugang zum Integrationskurs haben, Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit oder andere Projekte, die die Bildung und Integration von jungen Zugewanderten fördern. „Kurse und Kursreihen nach dem Kinder- und Jugendplan des Bundes sind für uns hierbei ganz wesentliche Möglichkeiten, junge Migrantinnen und Migranten bei ihrer außerschulischen Bildung gezielt zu unterstützen“, meint Ralf Hardes.
Außerschulische Angebote
Neben dem Hauptsitz im Regionalhaus Adolph Kolping (direkt in der Kasseler Innenstadt gelegen) hat der JMD in Kassel noch zwei Außenstellen in den Stadtteilen Nieder- und Oberzwehren. In Niederzwehren befinden sich zugleich die vom Jugendmigrationsdienst betriebenen Jugendräume mit einem großen Internetcafé für seine junge Zielgruppe, während der Kasseler JMD in Oberzwehren gemeinsam mit der Diakonie und einer Wohnungsgesellschaft ein kleines Stadtteilzentrum betreibt. „Wir werden hier stark von Ehrenamtlichen, Praktikantinnen und Praktikanten sowie Honorarkräften unterstützt, sonst könnten wir diese weiteren Angebote nicht aufrechterhalten“, ergänzt Bernd Schulz. Auch die stadtweit agierende Caritas-Hausauf-gabenhilfe für junge Menschen mit und ohne Migrationshintergrund wird durch eine JMD-Mitarbeiterin koordiniert. „Die meisten Nutzer unserer Hausaufgabenhilfe haben einen Migrationshintergrund“, so Kathrin Drescher-Mattern. „Da liegt es nahe, dass wir als Fachdienst uns um die Belange dieser jungen Menschen kümmern und die interkulturelle Ausrichtung des Angebotes steuern“.
Austausch im großen Team
Insgesamt ist der Jugendmigrationsdienst in der Stadt und im Landkreis Kassel sehr gut vernetzt und bringt sich engagiert in kommunalen Gremien ein. Alle JMD-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Mitglied eines Ausschusses oder Arbeitskreises und vertreten hier die Interessen ihrer Zielgruppe. Hilla Zavelberg-Simon hat als Vertreterin des JMD sogar am neuen Kasseler Integrationskonzept mitgearbeitet.
Gute Kooperationen bestehen ebenfalls mit dem benachbarten Jugendmigrationsdienst in Trägerschaft des Internationalen Bundes, mit den beiden Jobcentern und der Ausländerbehörde, mit den Jugendämtern (und ihren verschiedenen Abteilungen), dem Zukunftsbüro der Stadt Kassel sowie mit den Trägern der Integrationskurse. Hier werden Zuwanderinnen und Zuwanderer mit Beratungsbedarf gezielt an die Kolleginnen und Kollegen des Jugendmigrationsdienstes verwiesen. „Wir bieten bei den Integrationskursträgern, mit denen wir eng zusammenarbeiten, wöchentliche Außensprechzeiten an und führen ergänzend auch Ausflüge mit den jungen Sprachkursteilnehmenden in die schöne Kasseler Natur- und Kulturlandschaft durch“, meint Nathalie Dettmar.
Eine enge Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE), des Anerkennungsprojektes Integration durch Qualifizierung (IQ) und der Flüchtlingsberatungsstelle ist für den Kasseler JMD selbstverständlich. „Wir sind im Migrationsdienst des Caritasverbandes eng miteinander verbunden und somit ein großes Team, das sich regelmäßig trifft und neben inhaltlichen Aspekten auch fachlichen Austausch pflegt“, berichtet Hilla Zavelberg-Simon.
Interkulturelle Öffnung voranbringen
Besonders stolz ist man auf das eigene Konzept zur Durchführung Interkultureller Trainings und Fortbildungen. Mehrere JMD-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich seit dem Jahr 2006 in diesem Bereich zu Interkulturellen Trainerinnen und Trainern fort- und weitergebildet. Daher bietet der Kasseler JMD seit 2008 nun selbst Schulungen für Schulen, Vereine, Ehrenamtsinitiativen, Ämter und andere Institutionen an. „Das ist unser Beitrag zur Interkulturellen Öffnung von Diensten und Einrichtungen anderer Träger, die mit unserer Zielgruppe in Kontakt stehen bzw. stehen können“, beschreibt Bernd Schulz und Nathalie Dettmar ergänzt sogleich „so haben wir in den vergangenen Jahren bereits Interkulturelle Trainings mit Kolleginnen und Kollegen der Jugendämter von Stadt und Landkreis Kassel sowie mit anderen wichtigen Akteuren in der Integrationslandschaft durchgeführt“. Das selbst entwickelte Konzept ist derart erfolgreich, dass es weitaus mehr Anfragen gibt, als Schulungen durch den JMD angeboten werden können. „Wir stoßen über die Grenzen Kassels hinaus auf reges Interesse an unseren Trainings. Doch leider haben unsere personellen Ressourcen Grenzen, sodass wir dem Bedarf und der Nachfrage nicht gerecht werden können“, meint Hilla Zavelberg-Simon. Das Trainingskonzept ist modular aufgebaut und besteht aus fünf Einheiten. Dabei stellen diese aber keine Doktrin dar, die starr abgearbeitet werden muss. „Wir führen vor jeder Schulung ein Vorgespräch, klären Inhalte und Erwartungen ab, um dann für jedes Interkulturelle Training individuell ein eigenes Curriculum zu erarbeiten“, sagt Kathrin Drescher-Mattern.
Soviel Papier in Deuschland…
Habib aus Afghanistan möchte, wenn er bald seinen Hauptschulabschluss in der Tasche hat, Fliesenleger, später Fliesenleger-Meister werden. Eigentlich hat er im Iran schon einmal als Fliesenleger gearbeitet. Aber das war anders, erzählt der 20-Jährige. Er freut sich darauf, ein paar Dinge zu wiederholen und vieles dazuzulernen. Lernen fällt dem jungen Mann nicht schwer.
Als er vor zwei Jahren zum Jugendmigrationsdienst (JMD) kam, hatte er gerade angefangen, Deutsch zu lernen sowie Lesen, Schreiben und Rechnen. Habib war Analphabet, als er 2009 aus Afghanistan floh und über Pakistan und den Iran nach Deutschland kam. Weil er damals minderjährig und ohne Familie, die er im Krieg verloren hatte, Deutschland erreichte, lebte er zunächst in einer Jugendhilfeeinrichtung. Mit 18 Jahren zog er alleine in eine Wohnung. Nachdem Habib eine Aufenthaltserlaubnis mit Bleibeperspektive erhalten hatte, lernte er in der Deutsch-Intensivklasse an einer großen Kasseler Gesamtschule den JMD kennen. Seitdem sucht er regelmäßig dessen Beratungsangebote auf. „Habib kommt mit allen Fragen, die sich auftun“, erläutert sein Berater Bernd Schulz. „Sie drehen sich oft um Briefe, die Habib nicht versteht, oder Anträge bei Behörden. Auch bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz helfen wir ihm weiter. Was an Habib von Anfang an bemerkenswert war“, so Bernd Schulz weiter: „Er war in extrem kurzer Zeit alphabetisiert und hatte eine realistische Vorstellung, was seine Lebensplanung betraf. Er wusste schon als er kam, was er will und was er kann“.
Habib hat schnell Fuß gefasst in der fremden Kultur, auch wenn er sich noch nicht an alles gewöhnt hat. „Es gibt so viel Papier in Deutschland. Ich bin wirklich froh, dass mir der JMD hilft, wenn ich Post vom Jobcenter bekomme oder eine Bewerbung schreiben will. Alleine hätte ich nichts davon geschafft“. Sollte es trotz Hilfe nicht mit der Ausbildung klappen, hat Habib auch schon einen Plan B. Er würde dann den Realschulabschluss nachmachen. „Ich spreche Dari und Persisch. Für den Realschulabschluss brauche ich aber Englisch. Ich denke, das kann ich auch noch schaffen. Aber jetzt muss ich erst mal weiter Deutsch lernen“. Doch Lernen fällt Habib zum Glück leicht.