Der Jugendmigrationsdienst Groß-Gerau
Der Jugendmigrationsdienst Groß-Gerau
Im Büro des Jugendmigrationsdienstes (JMD) Groß-Gerau sind die Wege kurz und die Türen offen. Es drängt sich das Bild vom Taubenschlag auf – es herrscht ein reges Kommen und Gehen. Zeit für das Abarbeiten der hohen Papierberge bleibt „eigentlich nur, wenn man die Türe schließt“, sagt Franz Frank, der JMD-Berater. Es ist aber auch diese familiäre Atmosphäre, die das Büro mit dem liebenswerten Team auszeichnet.
Angesiedelt ist das Büro beim Internationalen Bund (IB) von Groß-Gerau. Beim IB hat auch Franz Frank vor weit über 30 Jahren seine berufliche Laufbahn begonnen. Mit kurzen Unterbrechungen ist er dem Träger treu geblieben. Als Nachhilfelehrer in den ausbildungsbegleitenden Hilfen, Leiter einer berufsvorbereitenden Maßnahme in Rüsselsheim, oder als Berufsbegleiter: Die beständige Arbeit im Landkreis Groß-Gerau seit über 15 Jahren zahlt sich aus, weil Frank durch die Begleitung von jungen Leuten viele Einrichtungen von innen kennt und sich so ein echtes Netzwerk erarbeitet hat. Frank kennt sich aus, wenn es um junge Menschen und deren Weg ins Arbeitsleben geht.
Genau darum dreht sich alles beim JMD in Groß-Gerau. „Unser Kreis verzeichnet überdurchschnittlich steigende Zahlen an Migrantinnen und Migranten“, erklärt Frank und begründet die Tatsache mit der günstigen Lage von Groß-Gerau in einer Boom-Region. Nach Mainz, Wiesbaden, Darmstadt und Frankfurt dauert die Fahrt höchstens 30 Minuten. Das lockt Menschen an. Noch eine Besonderheit weist die 24.000-Seelen-Kreisstadt auf: Hier lag lange das deutsche Zentrum der Ahmadiyya, einer islamischen Sondergemeinschaft, die vor allem in Pakistan verbreitet und in Deutschland seit 2013 die erste islamische Körperschaft des öffentlichen Rechts ist.
Kein Wunder also, dass neben jungen Menschen aus Griechenland, Bulgarien, Rumänien und Polen auch viele Pakistani die JMD-begleitenden Sprachkurse nutzen. „Viele der jungen Männer heiraten hier. Sie haben oft eine sehr gute Schul- oder Universitätsausbildung, nur mit der Sprache gibt es noch Probleme“, sagt Frank.
Ziele und Methoden
Begleitende Sprachkurse sind ein wichtiger Bestandteil der Arbeit des Jugendmigrationsdienstes. Vormittags und nachmittags nehmen jeweils 30 junge Menschen an den Kursen teil. „Im Jugendzentrum sind es noch mal 18.“ So sind täglich bis zu 78 Jugendliche in den Kursen. Natürlich haben die meisten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch persönliche Anliegen, Fragen und Probleme. Frank und seine Kollegin Sabine Ehret sind im Dauereinsatz.
Zu besprechen gibt es viel. Geld-Sorgen stehen oben auf der Themenliste. Kindergeld- oder Kinderzuschlag- Anträge ausfüllen, Unterstützung bei Anträgen auf ergänzendes Arbeitslosengeld II oder Wohngeld, Ratschläge für Behördengespräche und ähnliche Tipps bis hin zur persönlichen Begleitung zum Jobcenter oder zur Ausländerbehörde sind neben der Organisation von Sprachkursen der Hauptarbeitsbereich der beiden JMD-Mitarbeiter. Entspannung ist nicht in Sicht. Der Bedarf ist riesig, die Angebote könnten verdreifacht werden, stünden mehr Ressourcen zur Verfügung. Im Kreis Groß-Gerau gibt es insgesamt ein großes Missverhältnis zwischen Beratungsangeboten und Kursplätzen einerseits und enorm gestiegener Nachfrage andererseits. „Werbung machen wir nicht, die jungen Leute kommen aufgrund der Mundpropaganda in den Einwanderer-Communitys“ meint Frank.
Neben verschiedenen Projekten die der JMD anbietet, sind vor allem Radioseminare beliebt. Diese fördern das Zurechtfinden in der „neuen Heimat“ und stärken das Selbstbewusstsein. Gemeinsam lernen Jugendliche alles, was man übers Radiomachen wissen muss. Dann ziehen sie mit Mikrofon und Laptop los und führen zu selbst gewählten Themen Interviews mit Experten und lokalen Größen. Sie schneiden O-Töne und stellen professionelle Beiträge zusammen. Die werden dann von den Kursteilnehmerinnen und –teilnehmern live moderiert und im Bürgerradio ausgestrahlt. „Das finden alle Beteiligten klasse. Auch Radio Rüsselsheim übernimmt die Sendungen gerne, weil sie frischen Wind bringen“, sagt Franz Frank.
Zusätzlich zu Kursen, Freizeitaktivitäten und anderen Angeboten des JMD nehmen Frank und Ehret an vielen Sitzungen mit Kooperationspartnern teil. Der Landkreis verfügt über ein enges Netzwerk an Organisationen zur Hilfe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. „Da gibt es viele Überschneidungen, und es ist gut, mit den Beteiligten in Kontakt zu stehen“, sagt der JMD-Berater.
Zu diesem Netzwerk gehören das Jugendbildungswerk des Kreises und die Kompetenzagentur, die ebenfalls im Internationalen Bund angesiedelt ist. Einen Stock über dem Jugendmigrationsdienst sitzen die Kolleginnen und Kollegen, so sind auch hier die Wege wieder kurz und die Türen offen. „Wir ziehen an einem Strang“, erklärt Frank. „Wir wissen, was die anderen können und helfen uns gegenseitig an allen Ecken und Enden.“
Es läuft also rund in Groß-Gerau. Nur die Ressourcen sollten ausgebaut werden, dann wäre der Taubenschlag leichter zu bändigen.
Fallbeispiel
Ewelina kam aus Polen nach Groß-Gerau
22 Jahre alt war Ewelina Urbaniak, als sie von Polen nach Deutschland zog. Da hatte sie schon eine ganze Menge gemeistert – Fachabitur und eine abgeschlossene Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Mit ihrem damals dreijährigen Sohn entschloss sie sich, einen neuen großen Schritt zu wagen und folgte Eltern und vier Geschwistern, die schon zwei Jahre zuvor nach Deutschland gezogen waren. „Es ist schön hier“, sagt die junge Frau mit dem zunächst schüchternen Blick. „Die Leute sind sehr nett und hilfsbereit.“ Ausländerfeindlichkeit ist ihr noch nie begegnet – im Gegenteil: Ihr hat sich eine neue Zukunft aufgetan.
Nach ihrer Ankunft in einem Vorort von Groß-Gerau fand sie schnell einen Job in einer Fischfabrik. Nein, meint sie lächelnd, natürlich gibt es hier kein Meer oder eine andere Quelle für die vielen Fische, die verarbeitet werden, „die sind alle tiefgefroren.“ Solche Worte kommen ihr flüssig über die Lippen. Man merkt an ihr, was der JMD-Berater schon gesagt hatte: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Kursen sind zumeist gut ausgebildet und nehmen Angebote mit Spaß und Freude an. Leider finden sie dennoch anfangs oft nur Arbeit, welche weit unter ihrer Qualifikation liegen. Dabei sind sie leicht in gutbezahlte, interessante Arbeitsstellen zu vermitteln, wenn sie die richtige Unterstützung erfahren. „Junge und motivierte Fachkräfte aus dem Ausland, die Deutschland braucht, sind längst hier. Nur kümmert sich die Politik zu wenig um sie. Die Strukturen sind noch nicht ausreichend ausgebaut, um das bereits vorhandene Potential zu erkennen. Die Jugendmigrationsdienste können diese Lücke allein nicht füllen.“ meint Frank.
Ewelina, die inzwischen seit zwei Jahren in der Region wohnt, möchte vor allem die Sprache richtig lernen. „Das sage ich auch anderen Leuten, die ich treffe: Wir müssen die Sprache beherrschen, dann können wir viel mehr erreichen.“ Womit sie auch schon ihre ganz persönlichen Lebensziele ins Visier nimmt. Nach dem B1-Kurs will sie weitere Aufbaukurse absolvieren und so gut wie möglich Deutsch lernen, damit sie weiter als Einzelhandelskauffrau arbeiten kann. Eine bessere Position in der Tiefkühl-Fischfabrik hat sie schon sicher. Wenn sie dann richtig Fuß gefasst hat und mit ihrem Freund zusammen gezogen ist, wenn ihr Sohn zur Grundschule geht und sich das Leben stabilisiert hat, will sie eine Weiterbildung zur Altenpflegerin absolvieren. „In dem Bereich habe ich in Polen schon gejobbt, das hat mir viel Spaß gemacht. Ich mag alte Menschen!“ Dass Altenpfleger ein Beruf mit Zukunft ist, weiß die zielstrebige junge Frau natürlich auch längst.