Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

Der Jugendmigrationsdienst Bitterfeld-Wolfen

Der Jugendmigrationsdienst Bitterfeld-Wolfen

Der Jugendmigrationsdienst (JMD) Bitterfeld-Wolfen in der Trägerschaft des Diakonievereins Bitterfeld-Wolfen-Gräfenhainchen besteht seit 1998. Damals gab es in Wolfen zwar eine Erwachsenenberatungsstelle, aber kein Angebot für Jugendliche. Anfangs hatten Annett Spott, Leiterin des JMD, und ihre Kolleginnen vor allem mit 12- bis 15-Jährigen zu tun. Mit der Weiterentwicklung des JMD rückte die Beratung zum Thema „Übergang Schule-Beruf“ in den Mittelpunkt. Die Jugendlichen im JMD sind zum großen Teil Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler. Einen kleineren Teil stellen Zuwanderinnen und Zuwanderer aus dem Kosovo, Nordafrika und – zunehmend – Flüchtlinge aus Syrien.

Um die jungen Menschen zu erreichen, wurde zunächst ein offener Treff als niedrigschwelliges Angebot eingerichtet. Jugendliche kamen zum Tischtennis, sie fassten Vertrauen und ließen sich beraten. Was Annett Spott immer schon vorangetrieben hat, war die enge Zusammenarbeit mit anderen Jugendeinrichtungen. „Unsere Jugendlichen bewegen sich zwischen den Jugendeinrichtungen hin und her, genau das möchten wir erreichen. Wir nutzen die Gemeinwesenstruktur und vermitteln Jugendliche in Vereine. So kann jeder entsprechend seiner Interessen und Neigungen gefördert werden“, erklärt sie. „So hat eine Einrichtung eine eigene Band oder arbeitet mit Graffiti, der JMD verfügt über ein gutes Medienangebot und ein Tonstudio, bei anderen gibt es Gesundheitspräventionskurse oder eine Jugenddisko.“ Dieses Pendeln zwischen den verschiedenen Einrichtungen fördert nicht nur die Selbständigkeit, es bewirkt auch, dass Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund zusammenkommen. „Hier werden auch Einheimische integriert,“ sagt Annett Spott gerne.

 

Ziele und Methoden

Ein Zentrum, im dem sich Jugendliche mit Migrationshintergrund begegnen, ist die Euro-Schule Bitterfeld-Wolfen. Dort kommt es in den Integrationskursen meistens zum ersten Kontakt zwischen JMD und den neu Zugewanderten. Einmal pro Woche bietet der JMD dort Beratungszeiten an. Ein enger Draht zur Schulsozialarbeit sorgt außerdem dafür, dass die jungen Menschen unkompliziert den Weg zum JMD finden. Was sie dort erwartet, ist vor allem eine bedarfsgerechte und zielgruppenorientierte Beratung. Neben dem Case Management erhalten die Jugendlichen Unterstützung bei den Hausaufgaben, beim Bewerbungstraining oder bei der Berufsorientierung.

Fragen zu Formularen und Anträgen oder Probleme bei der Anerkennung von Schulabschlüssen gehören ebenso zum Arbeitsalltag des JMD, wie eine unkomplizierte Nutzung der Neuen Medien für die Jugendlichen, um beispielsweise schnell eine Bewerbung vorzubereiten oder etwas im Internet zu recherchieren. Das Haus ist offen für viele Interessen und Bedürfnisse. Das können Tanz- und Fußballgruppen sein, Rapper, die im Tonstudio ihre Musik mixen oder feste Projekte und Kursreihen. „Wir richten uns nach dem Bedarf. Im Moment bieten wir ein Projekt für junge Mütter an. Dabei geht es um Berufsperspektiven nach dem Mutterschutz, aber auch um allgemeine Erziehungsfragen“, erläutert Annett Spott. Zusätzlich werden regelmäßig zwei Kursreihen durchgeführt, die inhaltlich offen sind. „Wir wollen Jugendliche motivieren, ihre eigenen Interessen zu verwirklichen.“ Sie entwickeln Ideen und planen gemeinsame Veranstaltungen. Dabei lernen sie Vereinsstrukturen kennen, schreiben mit uns Fördermittelanträge und entwickeln sich teilweise zum Jugendgruppenleiter weiter.

 

Interkulturelle Öffnung

Wer mit Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenarbeitet, muss sich interkultureller Differenzen bewusst sein. Deshalb ließen sich Annett Spott und ihre Kolleginnen zu interkulturellen Trainerinnen ausbilden. Bei einem gemeinsamen Projekt mit der Euro-Schule, „Transkulturelle Schulungen für Gatekeeper“, werden Erfahrungen und Kenntnisse an Ämter, Schulen, Kitas und an Vertreter aus der Wirtschaft weitergegeben. Bei den interkulturellen Trainings geht es um Fragen, welche Dimensionen von Kultur existieren, was interkulturelle Kommunikation bedeutet und wie Missverständnisse vermieden werden können. Ein einfaches Beispiel, um Unterschiede bewusst zu machen, ist das Nähe-Distanz-Verhältnis verschiedener Kulturen. „In Südafrika berührt man sich im Gespräch, bei uns liegt eine Armeslänge dazwischen. Wenn man das nicht weiß, führt das leicht zu Irrtümern. Es geht auch um unterschiedliche Führungsstile und Integration am Arbeitsplatz. Das spielt eine große Rolle, damit Teams zusammen arbeiten können.“

Potentielle Arbeitgeber für das Thema „Interkulturelle Öffnung“ zu sensibilisieren, ist aus verschiedenen Gründen ein besonderes Anliegen von Annett Spott: „Wir haben in Sachsen-Anhalt unter den Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich gute Schulabschlüsse. Trotzdem ist es für die Jugendlichen schwierig, einen Ausbildungsplatz zu erhalten.“ Hinzu kommt, dass Abschlüsse aus den Herkunftsländern oft nicht äquivalent anerkennt werden. „Wir verschenken Potential bei den Zuwanderern. Viel zu oft müssen sie in Berufsgruppen einsteigen, die nicht ihrem Bildungsstand entsprechen.“ Über Seminare will Annett Spott erreichen, dass Institutionen wie die Industrie- und Handelskammer verstehen, dass es sinnvoll ist, auch zugewanderte junge Menschen mit Hauptschulabschluss für eine Lehrstelle vorsprechen zu lassen. Das Engagement lohnt sich. Die IHK hat inzwischen ein Stipendienprogramm für Menschen mit Migrationshintergrund entwickelt. Bei der mitteldeutschen Personaltagung war Annett Spott mit dem JMD vertreten: „Viele Unternehmen haben ein Interesse an internationalen Kontakten und buchen das Training. Das führt zu einem Geben und Nehmen. Wir kommen in Kontakt mit der Wirtschaft und unsere Jugendlichen können sich auf der Suche nach Ausbildungsstellen oder Praktikumsplätzen dort vorstellen.“ Die Interkulturelle Öffnung wirkt aber nicht nur nach außen, sondern auch im Jugendmigrationsdienst selbst. „Ich habe ein tägliches Training, trotzdem lerne ich bei regelmäßigen Kursen viel. Wenn wir Ehrenamtliche in Vereinen schulen, gibt es immer wieder neue Lernerfahrungen für alle Beteiligten.“

 

Fallbeispiel

 

Wirbelwind Gjulijeta

Gjulijeta wirbelt durch die Gänge des Jugendmigrationsdienstes. Sie empfängt Jugendliche, sorgt dafür, dass sie sich in die Liste eintragen, achtet darauf, dass die Jüngeren nicht zu lange vor dem Computer sitzen, mal hilft sie bei den Hausaufgaben, mal gibt sie Bewerbungstipps. Die 22-jährige arbeitet als Ehrenamtliche für den JMD. Sie ist hier praktisch erwachsen geworden.

Ursprünglich kommt Gjulijeta aus dem Kosovo. Als dort 1999 der Bürgerkrieg tobte, floh ihre 20-köpfige Familie nach Deutschland. Zuerst landeten sie im Asylbewerberheim, später kamen sie in Kontakt mit dem JMD. Gjulijeta und ihre Geschwister besuchten einen Sprachkurs. „Als wir herkamen, mussten wir bei Null anfangen. Wir hatten alles im Kosovo gelassen und konnten kein Wort Deutsch. Durch die Hilfe des JMD kamen wir in die Schule. So durchlief ich Grundschule, Sekundarschule, Fachoberschule. Selbst in der Fachoberschule gab es noch Zeiten, in denen ich Hilfe brauchte. Immer wieder wollte ich die Schule verlassen, aber jedes Mal war Annett Spott da und hat mir wieder Mut gemacht. Sonst hätte ich die Schule nicht abgeschlossen.“ Der JMD war für Gjulijeta aber nicht nur schulische Unterstützung, sondern fast ein Zuhause. Als ihre ältere Schwester eine Tanzgruppe besuchte, kam sie mit zum offenen Treff. Da war sie selbst 13. „Wir durften einfach herkommen, wir haben Freunde gefunden, sind zusammen in den Zoo gegangen, haben nebenher Deutsch gelernt. So wurden wir stückchenweise integriert. Für mich hat sich dadurch sehr vieles positiv entwickelt.“ 2007 begann Gjulijeta als Ehrenamtliche für den JMD zu arbeiten. Anfangs plante sie Projekte und Reisen für Jugendliche und war selbst zum ersten Mal alleine mit Freunden unterwegs. Nach der Zeit, in der sie für jeden Schritt über die Stadtgrenze von Wolfen eine Bescheinigung brauchte, war das eine richtige Freiheitserfahrung. Bescheinigungen braucht die junge Frau heute nicht mehr. Sie hat ihren Aufenthaltstitel und wartet auf den frisch bestellten Reisepass. Daran, dass ihre Zukunft in Deutschland liegt, hat sie nicht den geringsten Zweifel. „Ich bin mit sechs Jahren hergekommen und kann mir nicht vorstellen zurück zu gehen. Das wäre mir völlig fremd.“ Im Moment verbringt sie viel Zeit beim JMD. Sie genießt die letzten Wochen in ihrem zweiten Zuhause, denn im September fängt sie eine Ausbildung zur Altenpflegerin an. „Ich bin sehr gespannt auf die Arbeit. Aber es wird mir fehlen, dass ich nicht mehr jederzeit hier sein kann. Ich komme bestimmt so oft wie möglich an den Wochenenden.“

 

 

 

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