Von Marokko über die Ukraine nach Leichlingen: Ein junger Bauingenieur kämpft darum, in seinem Beruf arbeiten zu können
Eine Woche nachdem die russischen Truppen im Februar 2022 die Grenze zur Ukraine überquerten, flüchtete Abdessalam Iziki zu einem Freund nach Warschau. So wie viele andere dachte er damals auch, dass der Krieg in ein paar Monaten vorbei sein würde und er sein Studium an der Universität in Kiew beenden könnte. Er war kurz davor, seinen Bachelor in Bauingenieurwesen zu machen – es fehlte nur noch die Abschlussarbeit.
Der heute 24-Jährige war 2018 aus Marokko in die Ukraine gekommen. Seine Eltern wollten ihm eine bessere Zukunft ermöglichen und setzten ihn an seinem 18. Geburtstag mit dem Abitur im Gepäck in ein Flugzeug nach Kiew. Dort angekommen, belegte er zunächst Kurse zur Studienvorbereitung, lernte Russisch und Ukrainisch, dann begann er mit seinem Bachelorstudium, das die Flucht vor dem Krieg so jäh unterbrach. „Polen hat die internationalen Studenten, die aus der Ukraine geflohen sind, nicht gerade mit offenen Armen begrüßt“, erinnert er sich an die damalige Situation.
Als internationaler Student auf der Flucht vor dem Krieg
In den ersten Wochen dieses Krieges, die von Chaos und Ungewissheit geprägt sind, will er helfen, nicht einfach tatenlos zusehen. Mit einem geliehenen Auto unterstützt er verschiedene Organisationen, bringt Hilfsmittel an die ukrainische Grenze, nimmt von dort geflüchtete Menschen nach Warschau mit. Als jemand gesucht wird, der der US-amerikanischen Vizepräsidentin Kamala Harris die Situation der internationalen Studierenden schildert, die aus der Ukraine geflohen sind, fällt die Wahl auf Abdessalam Iziki. Ihm wird sogar ein Visum für die USA angeboten, doch er lehnt ab. Im Frühjahr 2022 denkt er noch, dass er bald sein Studium in Kiew beenden kann.
Als die Monate sich hinziehen und ein Ende des Krieges immer noch nicht in Sicht ist, fangen seine Freunde an, Polen zu verlassen. Manche gehen nach Kanada, andere nach Finnland. Als ein Freund ihm erzählt, dass Geflüchtete aus Drittstaaten in Nordrhein-Westfalen gute Aussichten darauf haben, bleiben zu dürfen, setzt er sich in einen Zug nach Herford. Nach mehreren Geflüchtetenunterkünften landet er schließlich in Leichlingen im Rheinisch-Bergischen Kreis, wo er heute noch lebt.
Ein wenig Hilfe genügt, denn Sami weiß, was er will
Abdessalam Iziki ist, als er in Deutschland ankommt, 22 Jahre alt. Er spricht Englisch, Französisch, Arabisch, Amazigh, Russisch und Ukrainisch. Deutsch spricht er 2022 noch nicht. Er erhält wie viele Geflüchtete aus Drittstaaten eine Fiktionsbescheinigung, mit der er sich vorläufig im Bundesgebiet aufhalten darf – zunächst für einen Monat, dann für drei. Er möchte Deutsch lernen, ein Praktikum als Bauingenieur machen, vielleicht einen Master, doch wie soll er das alles angehen? Wer kann ihm helfen? Er stößt auf den Jugendmigrationsdienst (JMD) Rhein-Berg. „Ich habe ihn im Internet gefunden und bin dann einfach mal hingegangen und habe um Hilfe gebeten“, sagt Abdessalam Iziki. Sami – so sein Rufname – fällt es mit seiner offenen und freundlichen Art nicht schwer, auf Unbekannte zuzugehen. Er bekommt einen Beratungstermin bei Nina Engelbert, die ihn bis heute betreut.
„Sami war von Anfang an sehr selbstständig und wusste genau, was er will. Er hat nur einen kleinen Schubs in die eine oder andere Richtung gebraucht und Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen“, erklärt Nina Engelbert, die seit 2018 das Büro des JMD Rhein-Berg in Burscheid betreut. Abdessalam Iziki fängt mit einem Integrationskurs an, studiert online weiter bei der Kiewer Universität und beendet erfolgreich sein Bachelorstudium. „Nina hilft mir, den kürzesten Weg zu finden. Manchmal weiß ich nicht genau, wie es weitergehen soll“, sagt der 24-Jährige. „Dann holt Nina Informationen ein, erklärt mir, was es für Möglichkeiten gibt, und am Ende des Gespräches weiß ich dann meistens, was ich als Nächstes machen werde.“
Deutsch lernen, Praktikum, Masterstudium: Wie soll ich das alles angehen? Gemeinsam finden Abdessalam Iziki und Nina Engelbert immer wieder einen Weg.
Berufsbezeichnung „Ingenieur“: ein Spezialfall
Der junge Bauingenieur darf heute den Titel offiziell führen – das ist ihr bisher größter gemeinsamer Erfolg. Da die Berufsbezeichnung Ingenieur*in in Deutschland besonders geschützt ist, muss man eine Genehmigung beantragen, um diese Berufsbezeichnung führen zu dürfen. Für die Ankerkennung mussten zahllose Formulare ausgefüllt und Nachweise erbracht werden, bei denen Nina Engelbert unterstützte. „Eine der Sachen, die ich an meiner Arbeit so mag, ist, dass ich immer neue Dinge dazulerne“, sagt die 43-Jährige. „Eine Ingenieurstitel-Anerkennung hatte ich vor Sami noch nie gemacht. Seitdem habe ich noch drei weiteren Geflüchteten dabei geholfen, ihren Ingenieurstitel führen zu dürfen.“
Manchmal ärgert sich Nina Engelbert aber auch, wenn sie etwa sieht, wie ein Ermessensspielraum sehr streng ausgelegt wird und jungen Menschen dadurch Chancen genommen werden. Rund 120 junge Ratsuchende hat sie aktuell in ihrer Datenbank. Manche kommen regelmäßig, manche tauchen nur ein bis zwei Mal im Jahr auf. „Eigentlich ist es immer gut, wenn man nichts von ihnen hört, denn das bedeutet meistens, es geht ihnen gut“, sagt sie mit einem Lachen. Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich für den JMD Rhein-Berg nicht so viel geändert, wie man denken könnte. „Den Menschen, die gebürtig aus der Ukraine stammen, stehen in Deutschland viele Wege offen, die anderen nicht zur Verfügung stehen. Wenn sie mal in die Beratung kommen, kann man ihnen relativ schnell und unkompliziert helfen“, berichtet sie. Auch Abdessalam Iziki sieht die großen Unterschiede – die Hürden, die er als gebürtiger Marokkaner, der aus der Ukraine geflohen ist, nehmen muss. „Das tut schon weh“, sagt er, „denn es sind schließlich die gleichen Menschen, mit denen ich damals vor dem Krieg über die Grenze geflohen bin.“
Nach vorne schauen und weitermachen – mit dem JMD ist es leichter
Abdessalam Iziki macht seit März 2024 ein einjähriges Qualifikationsprogramm bei der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe, das internationale Ingenieur*innen auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet. Drei Mal pro Woche fährt er dafür rund vier Stunden nach Detmold und wieder zurück. Ende 2023 hat er online seinen Master in Industrial and Civil Engineering an der Universität Kiew abgeschlossen. Er ist dem Verband Deutscher Ingenieure (VDI) beigetreten. Von dort erhofft er sich Unterstützung, etwa um einen Praktikumsplatz zu finden und langfristig als Ingenieur arbeiten zu können. Er blickt nach vorne, gibt die Hoffnung nicht auf. Gefühle lässt er schon lange nicht mehr zu. „Alles, was ich mir in der Ukraine jahrelang aufgebaut hatte, war von einem Tag auf den anderen weg“, berichtet er. „Da hilft es dann nichts zu fühlen, da kann man nur nach vorne schauen und immer weiter machen.“ Eine Sache ist ihm noch besonders wichtig: Er möchte dem JMD Rhein-Berg und vor allem Nina Engelbert herzlich danken für die Begleitung auf seinem Weg. „Sie macht vieles leichter für mich.“
Mehr über den Jugendmigrationsdienst Rhein-Berg
Der JMD Rhein-Berg ist in der Trägerschaft der Katholischen Jugendagentur Leverkusen, Rhein-Berg, Oberberg gGmbH. Fünf Mitarbeitende teilen sich dreieinhalb Personalstellen, finanziert aus Bundesmitteln für das JMD-Programm und das Präventionsprogramm JMD Respekt Coaches. Vier weitere Mitarbeitende werden aus Projektmitteln finanziert. Der JMD betreut den gesamten Rheinisch-Bergischen Kreis und bietet in allen Kommunen Vor-Ort-Termine an. Der Schwerpunkt liegt auf der Einzelfallberatung, doch es gibt auch Sport- und Kreativangebote, eine Jungengruppe und ein Sprachcafé.
Text und Bilder: Servicebüro Jugendmigrationsdienste