Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

Doppelte Durchhaltekraft in Meckenheim

Als die Terrororganisation „Islamischer Staat“ in ihre irakische Heimatstadt kommt, nimmt Faeza Omer ihre zwei kleinen Kinder und flieht. Die Krankenschwester kann nicht noch einmal ins Krankenhaus fahren, um ihre Ausbildungsunterlagen zu holen. Vor welche Schwierigkeiten sie das in Deutschland stellen wird, kann sie nicht ahnen. Doch mithilfe des Jugendmigrationsdienstes überwindet sie viele Hürden.

Hoffnung, Enttäuschung, doch am Ende: Freude. Mithilfe des Jugendmigrationsdienstes hat Faeza Omer viele Hürden überwunden.

Schon als kleines Kind will Faeza Omer Krankenschwester werden. 2013 schließt sie die Ausbildung kurz nach der Geburt ihres zweiten Sohnes erfolgreich ab und beginnt, in der Notaufnahme zu arbeiten. Dort arbeitet sie auch, als der Islamische Staat im Juni 2014 das nahe gelegene Mossul einnimmt. Als der IS im August auch in ihre Heimatstadt kommt, flieht die Jesidin mit ihrer Familie in die Region Kurdistan-Irak. In einem Flüchtlingslager finden sie Zuflucht, doch für die Kinder gibt es dort keine Perspektive. „Es gab keinen Kindergarten, keine Schule. Ich wollte etwas Besseres für meine Kinder, als ohne Bildung im Lager aufzuwachsen“, sagt sie rückblickend.

Einer ihrer Brüder ist zu diesem Zeitpunkt schon in Deutschland. Er sagt: Kommt hierher, hier gibt es Sicherheit. Und so macht sie sich mit ihren Kindern, ihren Eltern und zwei Brüdern auf den langen Weg nach Deutschland. Sie gelangt schließlich nach Meckenheim bei Bonn. Im November 2016 besucht sie dort erstmals den Jugendmigrationsdienst Rhein-Sieg-Kreis linksrheinisch der Katholischen Jugendagentur Bonn gGmbH. Von JMD-Leiterin Irina Vilver erfährt Faeza, dass es in Deutschland ein Anerkennungsverfahren für ihren Abschluss als Krankenpflegerin gibt. Doch der Weg dahin ist schwer: Je nach Berufsgruppe und Bundesland sind die Zuständigkeiten verschieden, und während des Verfahrens fallen immer wieder Kosten an.

Den Berufsabschluss anerkennen lassen – ohne Hilfe kaum möglich

Dennoch: Die junge Frau entschließt sich, mit der Unterstützung von Irina Vilver diesen Weg zu gehen. Sie versuchen zunächst, ihren Schulabschluss anerkennen zu lassen. Ihr Abschlusszeugnis ist bei der Flucht in der Heimat geblieben. Dort müsste Faeza es persönlich abholen – unmöglich als Flüchtling. Mithilfe der JMD-Leiterin erklärt sie der zuständigen Kölner Bezirksregierung die Lage und hört lange nichts. Schließlich die Information, dass die Bezirksregierung die Unterlagen nicht bewerten könne und sie zur weiteren Bearbeitung an die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen in Bonn übersendet habe. „Das war Anfang 2018“, sagt Vilver. „Seitdem warten wir auf eine Rückmeldung.“

Parallel versuchen sie, den irakischen Abschluss als Krankenpflegerin anerkennen zu lassen. Denn dieser Beruf darf in Deutschland nicht ohne ein staatliches Zulassungsverfahren ausgeübt werden. Zuständig ist das nordrhein-westfälische Landesprüfungsamt für Medizin, Psychotherapie und Pharmazie. Sie reichen einen Beleg des irakischen Gesundheitsministeriums über Faezas Tätigkeit als Fachkrankenschwester in Sinjar ein. Das Prüfungsamt fordert weitere Unterlagen an, die die junge Frau jedoch nicht hat. Und so senden sie und Vilver eine Erklärung, warum die Unterlagen nicht vorhanden sind, sowie detaillierte Beschreibungen der Ausbildungsinhalte. Sie bitten darum, Faeza in einer Kenntnisprüfung ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen zu lassen. Und dann heißt es wieder warten. Ausgang: Ungewiss. Welcher Aufwand betrieben werden muss, damit die Irakerin wieder arbeiten kann, ist der JMD-Leiterin unverständlich. Sie betont: „Es ging bei Faeza Omer damals um die Frage: Soll ich die Ausbildungsunterlagen aus dem Krankenhaus holen oder die Kinder retten.“
 


„Es gab immer wieder diese Zeiten, wo eine von uns beiden
gesagt hat: Ich kann nicht mehr.“ Doch dann kam wieder eine neue Idee
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Immer wieder Hoffnungen und Enttäuschungen

Doch mit Warten gibt sich Irina Vilver nicht zufrieden. „Ich habe eine intelligente, gut ausgebildete Frau vor mir gesehen, die im Krieg viel miterlebt hat, die jetzt aber bereit ist, alles mitzumachen, um wieder in ihrem Beruf arbeiten zu können.“ Und so sucht sie nach anderen Möglichkeiten, wie die zweifache Mutter wieder im medizinischen Bereich arbeiten kann. Das klappt vorübergehend in der Integrationsinitiative „Projekt Zukunft“ der Agentur für Arbeit und des Universitätsklinikums Bonn: Dort kann Faeza in einer Kombination aus Praktikum und Deutschkursen in einem Krankenhaus arbeiten. Den Ärzten fällt sofort auf, dass die junge Irakerin bereits viele Fachkenntnisse besitzt. Sie fragen, ob sie nicht eine Kenntnisprüfung machen möchte. Die kann nur mit einem anerkannten Schulzeugnis abgelegt werden. Doch das hat Faeza Omer nicht.

Aus dem gleichen Grund scheitert der Versuch, zunächst eine Aufstiegsqualifizierung zu durchlaufen, um dann nochmals die Ausbildung zur Krankenschwester machen zu können. Ebenso wie der Versuch, eine Ausbildung zur Altenpflegerin zu machen. „Diese Hoffnungsschimmer, die sich auftun, dann aber an bürokratischen Barrieren scheitern – es ist nicht leicht, das auszuhalten“, sagt Irina Vilver. Und so fängt Faeza an, in einem türkischen Lebensmittelgeschäft zu arbeiten, statt Kranke zu pflegen.


Nicht aufgeben, auch wenn die bürokratischen Wege steinig sind:
Hartnäckig setzt sich JMD-Leiterin Irina Vilver für Zugewanderte ein.

 

Viele Rückschläge, doch es lohnt sich

„Es gab immer wieder diese Zeiten, wo eine von uns beiden gesagt hat: Ich kann nicht mehr“, erinnert sich Irina Vilver. Und dann kommt der März 2019 und mit ihm die Einladung zu einem persönlichen Gespräch beim Landesprüfungsamt für Medizin, Psychotherapie und Pharmazie NRW. Zehn Tage nach dem Termin die erlösende Nachricht: Faeza Omer wird zur Kenntnisprüfung zugelassen. Wenn sie die besteht, kann sie als Krankenpflegerin arbeiten. „Ich hatte zuerst Angst, den Brief zu öffnen, als ich ihn aus dem Briefkasten holte“, erinnert sich die junge Frau. „Doch als ich dann gelesen habe, dass ich mein Können endlich unter Beweis stellen darf, habe ich mich riesig gefreut und sofort Frau Vilver angerufen.“ Irina Vilver lacht. „Ja, das war ein unglaubliches Gefühl. Nach all den Misserfolgen endlich eine positive Nachricht. Natürlich versucht man die fachlich-sachliche Distanz zu den Klienten zu wahren, aber man kann gar nicht verhindern, dass man auch hofft, enttäuscht ist oder sich eben freut.“

2019 hat Faeza Omer einen sechsmonatigen Kurs begonnen, um sich auf die Prüfung vorzubereiten. „Ich hoffe, dass ich sie bestehe und dann endlich wieder in meinem Beruf arbeiten kann.“ Rückblickend sagt sie: „Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die so viele Informationen hat wie Frau Vilver. Sie hat häufiger gesagt: Okay, das ist jetzt der letzte Versuch. Doch dann hatte sie doch wieder eine neue Idee.“ Die junge Frau lacht. Ihre Zukunft sieht sie in Deutschland, wo sie sich mit ihrer Familie sicher fühlt.

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Text und Bilder: Servicebüro Jugendmigrationsdienste