Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

Beratung statt Burger: Yaseen Taha löst gerne Probleme

Yaseen Taha hat seinen Traumjob gefunden. Der studierte Informatiker arbeitet mit Leib und Seele beim Jugendmigrationsdienst (JMD) in Neunkirchen. „Als Informatiker löse ich technische Probleme, als Sozialarbeiter löse ich Probleme von Menschen zusammen mit diesen Menschen“, sagt Taha, der sich selbst als Problemlöser bezeichnet. Dass er dies gut kann, hat er in seiner eigenen Vergangenheit mehr als einmal unter Beweis gestellt. Anfang des Jahrtausends flüchtete er aus dem Irak.

Zwei gute Geister der Bahnhofstraße: Yaseen Taha und Melanie Franz.

Nach einer glücklichen Kindheit steht er damals vor dem Abschluss seines Informatik-Studiums, als die Zeichen in seinem Land auf Krieg stehen. Er ahnt, welche Zukunft ihm blüht: vom Computer ans Gewehr, von der Informatik ins Inferno. Er entschließt sich zur Flucht. Weil sein Vater in der Vergangenheit als Botschafter in Wien seine Urlaube in Deutschland verbracht hatte, von der deutschen Kultur schwärmt, wählt der Sohn als Zufluchtsort Deutschland.

Als Geflüchteter landet er in Sensweiler, einem 500-Seelen-Dorf bei Idar-Oberstein. Ohne Arbeitserlaubnis kommt er auf die Idee, für seinen Gastgeber, einen Bauern, die Kühe zu hüten im Tausch für Deutsch-Lektionen. Von 175 Euro Sozialleistung kauft er Arbeitsklamotten und ein Wörterbuch, der 4. Januar 2002 wird sein erster Arbeitstag. Bei einem Meter Neuschnee gilt es, die 100-köpfige Herde zusammenzutreiben. Taha ist sich sicher: „Wer die Kühe versteht, versteht auch die Menschen.“

Der Bauer lädt Taha 2002 zu einem Karnevalsfest ein und der junge Mann erlebt einen Kulturschock. Er lernt daraus, dass das Verständnis der Kultur eines Gastlandes genauso wichtig ist wie dessen Sprache. Erneut ergreift er die Initiative. Nachdem er im Juni seine Aufenthaltsgenehmigung erhält, will er weiter studieren. Noch gibt es nicht die Fördermöglichkeiten, die nach der großen Fluchtbewegung 2015 geschaffen werden. Er bewirbt sich deshalb für einen Job bei einer Burgerkette und bekommt mit dem wunderbaren Satz „Ich kann alles sauber!“ eine Zusage.


Yaseen Taha hat gut Lachen.

Sprache als Schlüssel zur Integration

Neben der Arbeit lernt er an der Universität in Kursen zunächst weiter die deutsche Sprache. Als ihm die Geschäftsführertätigkeit der Fast-Food-Filiale angeboten wird, trifft er erneut eine wichtige Entscheidung: Er lehnt ab, denn er sieht sich als Informatiker, nicht als „king of the burgers“. Heute sagt er: „Eine Sprache ist immer mehr wert als Geld.“  Dieser Weg führt ihn schließlich 2016 zur Diakonie und zum JMD.

Seitdem ist er ein geschätzter Berater für die Jugendlichen in der 50.000-Einwohner-Stadt Neunkirchen, der zweitgrößten des Saarlandes. Er ist einer der guten Geister des JMD in der Bahnhofstrasse 26 und organisiert hier unter anderem Sprachkurse und Jugendfreizeiten. Auch seine Kollegin Melanie Franz, 1977er Jahrgang wie Taha und Mitarbeiterin im Respekt-Coaches-Programm der JMD, schwärmt: „Er ist eine Quelle der Inspiration, hat ganz viele neue Impulse hier eingebracht, kennt sich dazu noch mit der EDV aus und bringt interkulturelles Leben in die Bude.“ Nach kurzem Nachdenken ergänzt sie: „Er hat nur einen kleinen Fehler: Er kann nicht Nein sagen.“


Ein Berater, zwei Ratsuchende, drei kluge Köpfe.

Am Schwarzen Brett des Büros hängen zahlreiche Presseausschnitte über die Aktivitäten, etwa das Setzen von „Stolpersteinen“, jene Erinnerungssteine für jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die im NS-Staat verfolgt, vertrieben und getötet wurden. Oder über die jüngste Aktion gegen Putins Angriffskrieg, bei der 700 Schülerinnen und Schüler 99 Luftballons und fünf weiße Friedenstauben in den Himmel aufsteigen ließen.

Organisationstalent auch im Lockdown

Ein Fotobuch in Yaseen Tahas Büro dokumentiert die Kanufahrten, die bis zur Pandemie ein besonderer Höhepunkt des Jahres waren. Vier Zweierkanus und ein Achtsitzerbus waren die Ausrüstung für eine Kanutour, bei der Jugendliche begeistert zupackten, sich gegenseitig halfen, Sport und Spaß, Freizeit und Auszeit miteinander verbanden.

Besonders stolz ist der Sozialarbeiter auf das schnelle Umschalten in den Corona-Modus. Nachdem der zweite Lockdown im Dezember 2020 ausgerufen wurde, startete der JMD bereits im nächsten Monat mit Online-Sprachkursen und das Ergebnis konnte sich sehen lassen: 90% der Teilnehmenden haben bestanden.

Die nötigen Tablets für den Kurs hatte Taha über Kleinanzeigen gefunden und die Preise pro Gerät auf unter 50 Euro gehandelt, was eine unbürokratische Anschaffung ermöglichte. Das zeitaufwändige Antragswesen ist für Yaseen Taha der einzig erkennbare Nachteil in seinem Traumjob. Zu diesem Job gehört auch die Erreichbarkeit rund um die Uhr, verplante Wochenenden für die Kanufreizeit. Ein Nine-to-Five-Job wäre nichts für Taha. Aktuell kommen neue Herausforderungen auf ihn zu, er betreut die erste Familie mit drei Kindern aus der Ukraine.

Salsa-Urlaub zum Studienabschluss

Er freut sich über innovative Fortschritte, sei es der „Aller-Welts-Garten“, in dem Jugendliche auf 500 Quadratmetern ihre eigenen Beete bepflanzen können. Für den Herbst ist ein Kunstprojekt mit zwei iranischen Künstlern geplant, bei dem Jugendliche gemeinsam mit den Künstlern im Atelier diskutieren, arbeiten und experimentieren: Spracherwerb durch Kunstverständnis, ein neuer Ansatz. So wundert es nicht, dass Taha sein Studium mit einer Bachelorarbeit über die Geschichte der Jugendarbeit abschließen wird. Er zeichnet dabei die Geschichte vom Jugendgemeinschaftswerk der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bis zu den Jugendmigrationsdiensten in unseren 20er Jahren nach, also ein Jahrhundert Jugendarbeit im Rückblick.


Ein grünes Paradies für Jugendliche. Der Aller-Welts-Garten in Neunkirchen.

Bleibt da noch Zeit für Hobbys? Mit den JMD-Kolleginnen und Kollegen verbringt er gerne Freizeit. Sie gehen gemeinsam essen und sind über eine eigene Facebookgruppe verbunden. Taha ist auch sehr sportlich, geht mehrmals die Woche ins Fitnessstudio, joggt regelmäßig und fährt für sein größtes Hobby, den lateinamerikanischen Tanz Salsa, sogar nach Saarbrücken. Nach dem Abschluss seines Studiums, welches er derzeit noch berufsbegleitend absolviert, erfüllt er sich einen lang gehegten Traum: Salsa pur auf der Zuckerinsel Kuba.

Ob beruflich oder privat, Weltoffenheit zieht sich wie ein roter Faden durch Tahas Leben. Ein Spiegelbild der Welt ist auch die Bahnhofstraße in Neunkirchen, wo er durch sein Bürofenster in der ersten Etage der Nummer 26 das bunte Treiben beobachten kann: Ein arabischer Imbiss neben einem türkischen Supermarkt, ein marokkanisches Nagelstudio neben einer deutschen Bankfiliale. Und mittendrin, im Leben angekommen, Yaseen Taha.

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Text und Bilder: Servicebüro Jugendmigrationsdienste