Bild mit vier weiblichen Jugendlichen

"WIR STELLEN EMOTIONALITÄT BEWUSST DAR"

Noch bis Mitte April ist die Schau zu sehen, die auch die Diskussion um ein Zentrum gegen Vertreibung berührt. Mit dem Projektleiter, dem Historiker Hans-Joachim Westholt, sprach Harald Biskup.
KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Westholt, welchen Beitrag kann die Ausstellung zur Versachlichung der Debatte um ein wie auch immer geartetes Zentrum gegen Vertreibung leisten?

HANS-JOACHIM WESTHOLT: Wenn dies gelänge, wäre schon eine Menge erreicht. Wir stellen die Emotionalität, mit der die Debatte geführt wird, ganz bewusst dar. Wir zeigen, wie die Idee dieses Zentrums und sein vermuteter Inhalt in Polen und in Tschechien aufgenommen werden und was das für die Beziehungen zu den beiden Ländern bedeutet. Und wir machen auch deutlich, wie viel Kooperation es trotz aller Spannungen gibt.

Herr Hupka, der frühere Präsident der schlesischen Landsmannschaft, ist schon in der Schau gesichtet worden. Welche Anregungen hält sie für die Vertriebenenverbände bereit?

WESTHOLT: Es gibt eine gewisse Schnittmenge bei beiden Projekten, aber man kann schwerlich einfach Konzepte von der einen auf die andere "Baustelle" übertragen, schon gar nicht eins zu eins. Wir setzen einen deutlich anderen Schwerpunkt als das geplante Zentrum gegen Vertreibung. So ist etwa zum Thema Integration in den bisher bekannten Plänen nichts zu sehen. Es gibt zwei verschiedene Zielvorstellungen.

Wie wirkt es sich auf die Konzeption der Ausstellung aus, dass Flucht und Vertreibung seit den 60er Jahren ein Randthema in Deutschland war?

WESTHOLT: Wir zeigen, dass es unterschiedliche Zyklen gegeben hat. Es hat Zeiten gegeben, in denen das Thema sehr wohl eine große Rolle gespielt hat, was sich zum Beispiel an Schulaufsätzen zeigt, die diese Problematik behandeln, und dann auch Phasen, in denen es wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Seit Ende der 80er Jahre hat die Präsenz sowohl in der Forschung als auch in den Medien stark zugenommen. Wir weisen natürlich auch deutlich darauf hin, dass das Thema in der sowjetisch besetzten Zone und auch später in der DDR tabuisiert wurde, was sich an dem Begriff "Umsiedler" sehr deutlich ablesen lässt, der die Betroffenengruppe wegzudefinieren versuchte. Beim Publikum wird auch sehr wohl registriert, dass die Ausstellung sich ausführlich dem Aspekt der Integration widmet, und dabei hat es ganz sicher Nachholbedarf gegeben.

Warum kommt die Ausstellung erst jetzt?

WESTHOLT: Ich glaube, es ist einfach ein guter Zeitpunkt, weil die intensive Debatte das Interesse der Öffentlichkeit signalisiert.

Außerdem konnten wir erst jetzt auf bisher unzugängliche Quellen, darunter solche, die in deutsch-polnischer Zusammenarbeit erschlossen wurden, zurückgreifen

Die Ausstellung will mit der Beschreibung individueller Flüchtlingsschicksale und Exponaten mit hohem Gemütswert, darunter ein Kommunionkleid aus Mullbinden, Emotionen wecken. Kann das Thema nach 60 Jahren noch Empathie erzeugen?

WESTHOLT: Eindeutig ja. Es gibt ein Mitfühlen, das auf eigenem Erleben beruht und ebenso ein mitfühlendes Interesse der Jüngeren. Wir beobachten da so etwas wie einen Austausch zwischen den Generationen, zwischen Großeltern und Enkeln. Deren Interesse ist oftmals angestoßen worden durch das Flüchtlingselend im ehemaligen Jugoslawien. Das hat ja insgesamt dazu geführt, dass die Thema wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden ist.

Was lässt sich aus der mühsamen, letztlich aber gelungenen Eingliederung von bis zu 14 Millionen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen für die Integration von Migranten lernen?

WESTHOLT: Ich glaube nicht, dass man ein Modell daraus ableiten könnte. Dafür sind die jeweiligen historischen Besonderheiten zu verschieden. Uns war es aber gerade mit Blick auf die aktuelle Flüchtlingsdiskussion wichtig zu zeigen, dass auch die Integration der Vertriebenen alles andere als konfliktfrei verlief und dass sie keineswegs mit offenen Armen aufgenommen wurden. Die Schau macht deutlich, was es hieß, in eine Wohnung vier fremde Menschen einquartiert zu bekommen, was es hieß, die ohnehin knappen Ressourcen zu teilen. Wenn daraus abgeleitet würde, dass das, was unter viel schwierigeren Bedingungen gelungen ist, vielleicht auch unter wesentlich günstigeren Umständen gelingen könnte, dann ist dies ein Gedanke, den ich sicher nicht als unerwünscht empfände.

(Kölner Stadt-Anzeiger vom 27.12.2005)

http://www.ksta.de