Lehrreiche Zeit beim Deutsch-Türkischen Fachkräfteaustausch 2021 in Gaziantep
„Viele Herausforderungen, die sich in der JMD-Arbeit stellen, sind auch in der Türkei ein Thema“, so die vier JMD-Mitarbeitenden. Die Stadt Gaziantep bietet sich geradezu an, wenn es darum geht, Migrationsprozesse in der Türkei vor Ort zu studieren und sich ein Bild von unterschiedlichen Arbeitsansätzen und Herausforderungen zu machen. In der türkischen Großstadt sind von den 2,1 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern etwa 500.000 Geflüchtete aus Syrien. So haben die JMD-Mitarbeitenden am Beispiel von Gaziantep einen Gesamteinblick in die Situation der syrischen Geflüchteten in der Türkei bekommen. Dies war auch Ziel des deutsch-türkischen Fachkräfteaustauschs, der unter dem Thema „Migrationsprozesse vor Ort erfahren und verstehen“ stand. Drei Tage lang konnten sich die Teilnehmenden im Dezember 2021 durch Besuche von örtlichen Institutionen, NGOs und Jugendeinrichtungen einen Eindruck von den Migrationsprozessen verschaffen, ergänzt durch fachlich-kollegialen Austausch.
Perspektiven schaffen für Geflüchtete
In Besuchen und Gesprächen bei öffentlichen Institutionen, wie dem türkischen Amt für Migration sowie einer Niederlassung des Familienministeriums und der Stadtverwaltung von Gaziantep, wurde deutlich, dass es zahlreiche Anstrengungen gibt, den syrischen Geflüchteten Unterstützung zukommen zu lassen. „So wurde uns berichtet, dass bedürftige Geflüchtete Anspruch auf dieselben Sozialleistungen und Unterstützung haben, wie die türkische Bevölkerung“, erzählen die JMD-Mitarbeitenden. Kinder und Jugendliche besuchen gemeinsam die Schule und zum Erlernen der türkischen Sprache gibt es unterstützende Kurse. Der Wohnungsmarkt in Gaziantep ist zwar angespannt, ermöglicht aber eine Unterbringung, auch der syrischen Geflüchteten. Um einer Arbeit nachzugehen, benötigen Geflüchtete eine Arbeitserlaubnis, welche vergleichsweise schnell und flexibel ausgestellt wird. Dennoch bleiben irreguläre Beschäftigung und Ausbeutung, gerade von Geflüchteten, ein großes Problem.
Besuch im Jugendzentrum Gazikent (Foto: Privat)
Insgesamt wirkt der Ansatz, beim Zugang zu grundlegenden Sozialleistungen keine Unterschiede zu machen, vielversprechend. „Er könnte auch in Deutschland eine Option sein, gerade um Stigmatisierungen vorzubeugen“ stellen die JMD-Mitarbeitenden fest. Ein aktuelles und dringliches Problem ist die türkische Währungs- und Wirtschaftskrise, welche sich zunehmend auch auf dem Arbeitsmarkt niederschlägt. Die Konkurrenz zwischen Einheimischen und Geflüchteten wird dadurch verschärft. Auch ist für die syrischen Geflüchteten eine langfristige Bleibeperspektive in der Türkei ein Problem. Nach bis zu 10 Jahren in der Türkei haben sie, anders als in Deutschland, kein Anrecht auf ein geregeltes Asylverfahren und damit auf ein individuelles Bleiberecht. Die Chancen für eine Einbürgerung sind an hohe Hürden geknüpft. In der politischen Diskussion werden sie immer noch als Gäste gesehen und der Terminus der „bedingten Geflüchteten“ wurde eingeführt, der ihnen einen temporären Schutzstatus zusichert. Eine langfristige Perspektive ist damit jedoch nicht verbunden, was für die Menschen eine unsichere Lebenssituation bedeutet.
Fachkräfteaustausch hat sich ganz sicher gelohnt
Bei dem Besuch einer berufsbildenden Schule, einer NGO und eines lokalen Jugendzentrums standen unter anderem die Fragen: „Wie erreichen wir die Schwererreichbaren?“ und „Wie gelingt Zusammenleben?“ im Fokus. So haben alle besuchten Organisationen einen Schwerpunkt auf aufsuchende Arbeit gelegt. Bei Besuchen in den Familien werden Bedarfe erhoben und Angebote gemacht. Auch während der Pandemie gelang es so, mit den Menschen in Kontakt zu bleiben. Die Vorzüge einer Berufsausbildung können beispielsweise besser aufgezeigt werden, wenn die ganze Familie einbezogen wird und bei Besuchen ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wird. Aufsuchende Arbeit, welche die gesamte Familie einbezieht, ist hier ein Erfolgsrezept. Trotzdem bleibt es schwierig, Vorbehalte zu entkräften, gerade wenn Industriejobs in der Türkei schlecht vergütet werden. Um Einheimische und Geflüchtete zusammenzubringen haben sich, wie in Deutschland auch, besonders Kulturprojekte, gemeinsame Essen und Feste bewährt. Hier können sich die unterschiedlichen Gruppen niedrigschwellig treffen und auf Augenhöhe begegnen. Beispiele dazu wurden während des Besuchs in mehreren Projekten präsentiert.
Was bleibt nach dem Fachkräfteaustausch? „Sicher viele neue Eindrücke, aber auch Fragen und Ideen. Besonders im Austausch mit den türkischen Fachkräften, im „Erleben“ der Situation vor Ort, und in den neuen Kontakten hat der Austausch seine Stärken gezeigt“ berichten die vier JMD-Teilnehmenden. Gaziantep konnte auch mit seiner reichen Kultur und leckeren Küche in den Bann ziehen.
Sosehr sich die Jugendsozialarbeit in der Türkei und in Deutschland unterscheidet, so ähnelt sie sich doch auch in vielerlei Hinsicht. Vor allem in dem gemeinsamen Wunsch die jungen Menschen zu unterstützen.
Das bilaterale Fachkräfte-Austauschprogramm wird seit 2016 von der BAG EJSA, Träger der evangelischen JMD, in Zusammenarbeit mit der Abteilung für internationale Zusammenarbeit im türkischen Ministerium für Jugend und Sport umgesetzt. Im Oktober 2021 konnte sich die türkische Gruppe in Nürnberg bereits ein Bild von den vielschichtigen Lebensrealitäten geflüchteter Menschen in Deutschland machen. Zum Gegenbesuch im Dezember 2021 trafen sich insgesamt 16 deutsche und türkische Fachkräfte in der türkischen Stadt Gaziantep.
Zum JMD Berlin Lichtenberg (CJD)
Text: Servicebüro Jugendmigrationsdienste