"Das macht was mit einem"
An der Station „Bist du einem Vorurteil auf der Spur?“ kamen die Besucher*innen meist schnell ins Diskutieren. Habe ich selbst schon mal vorschnell über eine Gruppe von Menschen geurteilt? Wo liegt die Grenze zwischen Meinung und Vorurteil? Und wie kann ich eigene Stereotype erkennen? „Es war interessant zu hören, wie viele verschiedene Meinungen es gibt. Manchmal war es aber auch schwierig nachzuvollziehen, was die anderen denken“, sagt Berufsschülerin Emily Böhmer, die als Peer Guide Gleichaltrige durch die Ausstellung führte. Manch einer kam sich im Selbsttest an der Station selbst auf die Schliche, erzählt Amina Schlierenkamp, ebenfalls Peer Guide: „Ich fand den Moment spannend, wenn jemand begriffen hat: Oh, das, was ich sage, ist ja ein Vorurteil!“ Die Aufgabe von Amina, Emily und ihrem Peer-Guide-Kollegen Malik Ateş war es dann, den anderen zu vermitteln: Verschiedene Meinungen dürfen sein, solange sie niemanden diskriminieren.
Komm, wir reden über Migration
Peer Guides: So nennt man junge Leute wie Amina, Malik und Emily, die Gleichaltrige durch die Ausstellung begleiten. Sie sind 19, 20 und 21 Jahre alt und besuchen den 12. Jahrgang des Bildungsgangs Gesundheit und Soziales am Berufskolleg Viersen . Als Peer Guides beantworten sie Fragen der Besucher*innen, stellen aber auch welche und regen dadurch zum Gespräch an. Über Migration, das Leben in einem anderen Land, die Herausforderungen, die das an alle Seiten stellt. Und die Fragen und Unsicherheiten, die aufkommen können, wenn Menschen nach Deutschland einwandern.
Denn das Ziel von YOUNIWORTH ist es, Menschen für Migrationsthemen zu sensibilisieren und zum Austausch anzuregen. Dazu laden sieben interaktive Stationen mit Videos, Spielen und Selbsttest ein. Die Ausstellung ist ein Angebot der Jugendmigrationsdienste (JMD) und tourt durch Schulen, Rathäuser und Jugendeinrichtungen in ganz Deutschland. Am Berufskolleg Viersen in Nordrhein-Westfalen machte sie im Oktober 2022 für zwei Wochen Halt. Organisiert hatte das der JMD Viersen gemeinsam mit einem Lehrer und dem Sozialarbeiter des Berufskollegs.
Auch untereinander kamen die Peer Guides ins Diskutieren: Amina, Malik und Emily beim Selbsttest „Bist du einem Vorurteil auf der Spur?“
Raum für verschiedene Meinungen, aber mit Grenzen
Malik, Emily und Amina haben sich in einem Workshop auf ihre Aufgabe vorbereitet und intensiv mit der Ausstellung beschäftigt. Das war wichtig, denn es gab auch Situationen, in denen die Peer Guides Grenzen setzen mussten. Zum Beispiel, als ein Besucher beharrlich gegen LGBTIQ+ Personen hetzte und an einem konstruktiven Dialog nicht interessiert war. Sie ließen sich nicht provozieren, sondern suchten das Gespräch. Und zogen schließlich einen Schlussstrich unter die Diskussion. Meinungen Raum geben, aber an entscheidenden Punkten Haltung bewahren: eine Empfehlung aus dem Vorbereitungsworkshop, die ihnen in herausfordernden Situationen half. Trotzdem sind Amina Fälle wie dieser auch nahegegangen: „Ich wusste, dass der eine oder andere nicht ganz tolerant ist. Aber mir war nicht bewusst, wie viele so eine radikale Meinung haben und sich mit dem Thema überhaupt nicht auseinandergesetzt haben.“
Wie ist es als Migrant*in?
Oft stellten die Guides fest, dass der Grund für Vorbehalte in Unwissenheit lag. Warum kommen Menschen eigentlich nach Deutschland? Und wie leben sie bei uns? Kriegen die alles bezahlt und liegen dem Staat auf der Tasche? Das waren Fragen und Annahmen, die beim Gang durch die Ausstellung zur Sprache kamen. Beim Erkunden der Ausstellungsstationen konnten die Besucher*innen sich ein realistisches Bild machen, Antworten finden und ihre eigene Position reflektieren. Und auch mal in die Perspektive von Zugewanderten schlüpfen, wenn sie selbst keine Migrationserfahrung hatten. Zum Beispiel beim Erledigen von Behördengängen im Spiel „Weiß der Wimmel!“ oder beim Kofferpacken unter Zeitdruck, wie es viele Flüchtende erleben.
Die Familie seit fünf Jahren nicht gesehen: Viele bewegten die persönlichen Einblicke junger Migrant*innen an der Videostation.
Erzähl mir von dir
Immer wieder bekamen die Peer Guides mit, wie Besucher*innen durch die Auseinandersetzung mit echten Lebensgeschichten bisherige Überzeugungen in Frage stellten. „Die kommen hier rein und fühlen mit den Leuten“, sagt Emily. „Das macht was mit einem.“ Vor allem an den Videostationen erlebten sie das. Dort blicken vier junge Zugewanderte die Ausstellungsgäste von großen Bildschirmen aus an. Stellt man ihnen per Knopfdruck eine Frage, erzählen sie von ihrem Leben: Wie sie sich hier in Deutschland fühlen, was sie vorher gemacht haben, was ihnen im Leben wichtig ist. Es sind persönliche Eindrücke, die die Betrachter*innen nicht unberührt lassen. Zum Beispiel, wenn Mohamad aus Syrien sagt, dass er seine zwei Geschwister und seine Eltern seit fünf Jahren nicht gesehen hat. Oder wenn Davoud von seiner Sorge erzählt, nach Afghanistan zurückgehen zu müssen, wo sein Vater von den Taliban mit dem Tod bedroht wird.
Was eine Ausstellung bewirken kann
„Die Leute sehen, dass jeder seine eigene Geschichte mit sich bringt und dass es nicht schön ist, wenn man sein eigenes Land verlassen muss durch Klima, Krieg oder politische Verfolgung. Und dass man vieles zurücklassen muss“, sagt Malik. Ein Schlüsselerlebnis war für ihn die Rückmeldung einer Schülerin, die über sich selbst sagte, sie habe vorher ein negatives Bild von Migrant*innen gehabt. Jetzt sehe sie das anders. „Es ist gut zu sehen, was so eine Ausstellung bewirken kann.“ Malik fühlt sich bestärkt darin, Vorurteilen und Diskriminierung auch im Alltag entgegenzutreten. Nach ihrem Fachabitur haben die drei Peer Guides unterschiedliche Pläne: Psychologie oder Soziale Arbeit studieren, Wehrdienst machen, bei der Polizei anfangen. Ihre Erfahrungen mit YOUNIWORTH werden sie mitnehmen – und ihr Umfeld weiter für Migrationsthemen sensibilisieren.
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Text und Bilder: Servicebüro Jugendmigrationsdienste