Frau Böhmer, welchen Schwerpunkt werden Sie als Integrationsbeauftragte setzen?
Ein besonderes Anliegen ist mir die zweite und dritte Generation der Zugewanderten. Es ist wichtig, diesen Kindern und Jugendlichen eine bessere Chance zur Integration zu geben. Dabei ist die Bildung der Schlüssel. Hier will ich den Schwerpunkt setzen. Bildung, Ausbildung und Integration in den Arbeitsmarkt sind wichtige Voraussetzungen, aber auch wichtige Indikatoren für die Integration.
Wie wollen Sie das erreichen?
Bildung setzt im Kindergarten an. Ich halte es für unabdingbar, dass die Sprachförderung ausgebaut wird und die Sprachtests für Kinder im Kindergartenalter verpflichtend werden. Nur dadurch können Kinder so gefördert werden, dass sie die deutsche Sprache beherrschen. Das gilt sowohl für Kinder aus Migrantenfamilien als auch aus deutschen. Darauf müssen auch die Erzieherinnen in der Ausbildung stärker vorbereitet werden.
Die Bildung gehört zu den Aufgaben der Länder. Wie wollen Sie da Änderungen bewirken?
Meine Aufgabe ist es, Initiativen anzuregen und zu koordinieren.
Wollen Sie eine Kindergartenpflicht?
Nein. Gerade im letzten Kindergartenjahr werden viele Kinder angemeldet, so dass eine Pflicht nicht erforderlich ist. Mir schwebt etwas Anderes vor. Wenn der Kindergarten sich zu einer Bildungseinrichtung entwickelt, müssen die Kindergartenbeiträge abgeschafft werden. Ich halte das Saarland für Richtung weisend. Dort ist das letzte Kindergartenjahr kostenlos. Das sollten andere Bundesländer übernehmen.
Die Kommunen haben aber kein Geld. Will der Bund das finanzieren?
Nein. Bildung ist eine originäre Aufgabe der Länder und Kommunen. Aber ich appelliere an sie: Jeder Euro, der in die Bildung investiert wird, wird später bei der Jugendhilfe eingespart.
Muss auch in der Schule der Unterricht verändert werden, um die Sprachdefizite zu beheben?
Auch in der Schule muss die Sprachförderung noch ausgebaut werden. Zudem ist die Zusammensetzung der Klasse wichtig, nicht allein die Größe, sondern auch die Differenzierung von Schülern innerhalb einer Klasse. Da ich in der Lehrerausbildung tätig bin, weiß ich, dass diese Themen dort stärker verankert werden müssen.
Wegen der Sprachdefizite haben Migrantenkinder oft Schwierigkeiten, eine Ausbildung zu finden. Was halten Sie in diesem Bereich für nötig?
Ich möchte, dass sich die Wirtschaft im Rahmen des Ausbildungspakts selbst verpflichtet, diesen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu geben. Ich weiß, dass es zu viele Jugendliche gibt, die keinen Schulabschluss oder nicht die erforderlichen Ausbildungsqualifikationen besitzen. Diese Hemmnisse müssen überwunden werden. Deshalb sind Angebote zur Nachqualifizierung der Jugendlichen erforderlich.
An die 14 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Sind Deutsche und Ausländer darauf vorbereitet?
Die Situation ist alles andere als befriedigend. Deshalb gibt es das klare Signal von Bundeskanzlerin Angela Merkel, diesem Bereich ein besonderes Gewicht zu geben. Ich sehe darin die Chance, das Thema Integration in der Gesellschaft breit zu verankern. Das darf nicht auf die Politik beschränkt bleiben.
Wer soll sich noch beteiligen?
Es muss Initiativen von Kirchen und Sozialverbänden geben, aber auch in der Nachbarschaft. So könnte etwa die pensionierte Lehrerin Kindern bei den Hausaufgaben helfen. Diese Best-Practice-Modelle will ich stärker in den Vordergrund stellen. Dabei erwarte ich von denjenigen Migranten, die sich in Deutschland eingelebt haben, das zu unterstützen. Hier liegt ein großes Potenzial im Miteinander. Wir haben in Deutschland viele gelungene Beispiel der Integration, denken Sie in unserer Geschichte zurück an die Hugenotten oder die polnischen Bergarbeiter.
Was erwarten Sie dabei von den Migranten und den Deutschen?
Ich erwarte von den Migranten, dass sie unsere Geschichte und unseren kulturellen Reichtum kennen lernen, dass sie unsere Rechtsordnung und unsere Werte akzeptieren. Deshalb muss niemand seine Wurzeln kappen. Eine partnerschaftliche Gesellschaft bedeutet aber auch wechselseitiges Kennenlernen. Auch die Deutschen sollten diejenigen kennen lernen, die zu uns kommen. Es ist fatal, wenn man abgeschottet voneinander lebt.
Rund 200 000 Bürgerkriegsflüchtlinge leben seit vielen Jahren nur mit Duldungen hier. Befürworten Sie ein Bleiberecht?
Wir brauchen eine Bleiberechtregelung, die aber an bestimmte Bedingungen gebunden werden sollte. Ich halte einen Aufenthalt von mindestens sechs Jahren, das Beherrschen der deutschen Sprache und die Erwerbstätigkeit für wesentliche Voraussetzungen.
Das Gespräch führte Sigrid Averesch.
(Berliner Zeitung vom 19.12.2005)
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